
Das Leben des Höflings Einhard
Der Anhang des Buches, das ich mir in der Bibliothek ausgeliehen habe, umfasst knapp 100 Seiten! Anmerkungen, Zeit- und Stammtafel, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personenregister …
Ich schwanke (genau wie Fred) zwischen Faszination und Überforderung. Die erhellende Erkenntnis bringt eine kurze Internetrecherche. Der Autor ist Professor an der Uni Tübingen; einer seiner Schwerpunkte die Politik- und Kirchengeschichte der Karolingerzeit.
Umso überraschender finde ich, dass sich Einhards Lebensgeschichte in weiten Teilen so anschaulich und flüssig lesen lässt. Steffen Patzold hat mit dem Buch die „Biographie eines Biographen“ geschrieben. Denn Einhard war der Autor der Vita Karoli Magni – der legendären Lebensgeschichte Karls des Großen.
Doch Einhard auf die Spur zu kommen ist eine Puzzlearbeit, bei der manches auf Annahmen und Herleitungen beruht. Es wird davon ausgegangen, dass er um 770 im ostfränkischen Maingau geboren wurde. Seine Eltern geben ihn als kleinen Jungen ins Kloster Fulda. Er soll nicht – wie es damals durchaus üblich war - Mönch werden, aber eine solide Ausbildung erhalten, denn da er sehr klein und zart ist, kommt „das übliche Leben eines edlen Freien, geprägt von Blut, Schweiß, Schwertern, von Pferden, Jagd und Krieg“ für ihn nicht in Frage. Aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit muss er viel Spott aushalten. Mit einer Biene, einer kleinblütigen Heilpflanze wird er verglichen. Als Tischbein könne man ihn gebrauchen. Er selbst soll sich homunico (Männlein) genannt haben.
Die Mönche in Fulda erkennen Einhards wachen Verstand, seine schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Er wird gefördert, unter anderem in Latein unterrichtet. Bald ist er in der Lage selbständig Urkunden zu verfassen.
Das Bildungsniveau der Mönche lässt allerdings zu wünschen übrig. Die Schreibfehler in lateinischen Dokumenten sind häufig und zuweilen bis zur Peinlichkeit sinnentstellend. Um 787 schreibt König Karl unter anderem auch an den Fuldaer Abt, dass das Sprach- und Bildungsniveau in jeder Hinsicht gehoben werden müsse. Korrekt und nicht roh, sondern von Klugheit und Weisheit durchdrungen, sollen die Schriften sein. Eine höhere Gelehrsamkeit wird angestrebt; die Lernenden sollen später auch selbst unterrichten können. Ob das Bemühen des zu diesem Zeitpunkt zirka vierzigjährigen Königs für die litterae dazu geführt hat, dass man Einhard in Fulda intensiver förderte?
Drei Jahre später kommt der inzwischen Zwanzigjährige jedenfalls an den Hof. Aachen wird bald zur Lieblingspfalz des Königs, weil dort heiße Quellen sprudeln. Er liebt es zu baden; nimmt manchmal ganze Gesandtschaften mit ins heiße Wasser, wie wir später aus einem Text der Vita erfahren werden …
Doch noch ist Einhard nicht im engsten Kreis um den Herrscher angekommen, der im Jahre 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt wird. Dass der junge Höfling sehr fleißig ist, belegt einer der Spottverse, die vor dem Hofkreis gerne vorgetragen werden. Der emsige Ameisenfuß, immer hin- und hereilend „Bücher schleppend, mühsam Geschäfte erledigend.“
Auf Empfehlung des hochgebildeten Gelehrten Alkuin, betreut Einhard bald den Kaiser bei seinen literarischen und mathematischen Studien, wird zum Aufseher über die Bauten und kunstgewerblichen Werkstätten und schließlich zum Vorsteher der von Karl gegründeten Hofschule. Er muss auch umsichtig gewesen sein, neben seinen künstlerischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten über taktisches Geschick verfügt haben, sonst hätte er es nicht geschafft, seine große Vertrauensstellung als Ratgeber des Kaisers über so viele Jahre innezuhaben.
„In den letzten Jahren Karls des Großen bleibt uns Einhard seltsam prominent verborgen.“ Steffen Patzold wundert sich, dass ihm, dessen Dichtkunst mit der eines Vergil gleichgesetzt wurde; der vieles in der Aachener Pfalz gebaut haben soll, wenige Werke sicher zugeordnet werden können. Ich frage mich, ob diese Zurückhaltung - sein stilles Engagement für die Sache - die Strategie gewesen sein könnte, die er gewählt hat, um im Macht- und Ränkespiel des Hofes zu überleben. Durch den Verzicht auf Ruhm und Ehre für das Geleistete, machte er sich weniger angreifbar …? Und weil er ein zutiefst gläubiger Mensch war, ist ihm das vielleicht gar nicht so schwergefallen …?
Aus der Demut eines Gläubigen und der Dankbarkeit, die er Karl gegenüber empfand, weil dieser ihn in jeder Hinsicht genährt hatte, könnte auch die große zuweilen ins Pathetische schweifende Loyalität dem Kaiser gegenüber entsprungen sein, die auch aus den von Patzold übersetzten Passagen der Vita durchschimmert.
Dabei gab es für den Höfling unter Karl keine existenzielle Beständigkeit, seine Position war nicht an ein gesichertes Einkommen geknüpft. Erst unter Karls Sohn, Ludwig dem Frommen, ändert sich das. Was Einhard dann auch in die Lage versetzt, zu heiraten. „Seine Frau Emma wird bald einen wichtigen Platz in seinem Leben einnehmen.“ Der neue Kaiser übereignet dem Paar unter anderem einen Besitz in Mulinheim, dem heutigen Seligenstadt. Der Name geht auf Einhards Initiative zurück, der hier eine Basilika errichten ließ und ein Benediktinerkloster gründete. Aus Rom „erwarb“ er die Gebeine der Märtyrer Petrus und Marcellinus.
Die Rivalitäten und Spannungen am Hof, die Krisen im Land spitzen sich währenddessen zu. Materiell ist Einhard nun unabhängig. Doch der Kaiser will ihn nicht aus dem Hofdienst entlassen, dabei sehnt er sich, auch aus gesundheitlichen Gründen, nach der Ruhe und Muße von Mulinheim. „Er fand eine Lösung. … So wie ihm mehr als drei Jahrzehnte zuvor Wissen, Intelligenz und eine Begabung für das Lateinische den Weg an den Hof geebnet hatten, so sollten sie Einhard nun helfen, von dort wieder fortzukommen … Einhard beschloss, dem Kaiser seine Fähigkeiten ins Gedächtnis zu rufen. Es sollte sein Meisterstück werden.“
Steffen Patzold: Ich und Karl der Große – Das Leben des Höflings Einhard
2013 Klett-Cotta, Stuttgart