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"Weil das Menschentum mir höher steht, als das Volkstum ..."

 

Denn unseres Volkes Eigentümlichkeit ist mitnichten jene schroffe, eckige, scharfkantige, abstoßende Absonderlichkeit und Abgeschlossenheit, die sie uns predigen; sie war von jeher und wird sein so lange wir uns selbst getreu bleiben: Universalität, Humanität, die schöne Gabe, uns anzueignen das Gute und Schöne aller Zeit und jeder Zunge, jene gerechte Mitte, welche, wie den Charakter unserer geographischen Lage also auch den unterscheidenden und achtbarsten Zug ausmacht in unserem geistigen und sittlichen Bilde.

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

entdeckt habe ich Kosegarten im Januar diesen Jahres. Ich bin fünfzig geworden, und wir haben die Geburtstagswoche auf Rügen verbracht. In einem kleinen gemütlichen Ferienhaus am Kap Arcona. Ich hatte noch keine Ahnung, womit ich mich literarisch in diesem Jahr beschäftigen würde. Mehrere Ideen kreisten mir durch Geist und Gemüt. Mein Mann meinte, ist solle einfach mal Urlaub machen. Nur Entspannendes lesen und mir am Meer den Kopf durchpusten lassen.

Das ging zwei Tage lang gut. Dann entdeckte ich im Obergeschoss des Hauses ein elegant in weiß gerahmtes Portrait. Kosegarten - verriet die dezente Bildunterschrift. Der Name kam mir bekannt vor. Vielleicht war er mir im Zusammenhang mit den Vertretern der Aufklärung untergekommen, mit denen ich mich in den letzten beiden Jahren beschäftigt hatte ...? Meine Neugier war geweckt. Ich durchforstete die Bücher im Wohnzimmer des Hauses und stieß auf eine bemerkenswerte und vielseitige Persönlichkeit: Ludwig Gotthard Kosegarten war vor mehr als 200 Jahren Pfarrer im nahegelegene Altenkirchen gewesen. Die Gemeinde war damals nicht nur das geistig-religiöses Zentrum der Halbinsel Wittow im Nordosten Rügens, der Pfarrer war auch Grund- und Gerichtsherr! Und darüber hinaus ein Dichter …?!

 

Im Schneegestöber sind wir über Land und durch schmale Alleen nach Altenkirchen gefahren. Dort im Pfarrhaus hat er gelebt. In der ältesten Dorfkirche Rügens gewirkt. Es gibt ein Kosegarten-Haus mit einer Ausstellung. Ich konnte mich mit weiterem Lesestoff eindecken, auch mit seiner Autobiographie: Geschichte seines fünfzigsten Lebensjahres. „Na, wenn das kein Zeichen ist“, sagte ich zu meinem Mann, der still vor sich hinlächelte und mich zum Kaffeetrinken einlud.

Kosegarten hat seine vielfältigen Aufgaben als kirchliches und weltliches Oberhaupt ernst genommen und versucht, sie im Sinne der christlichen Nächstenliebe umzusetzen. Er war belesen - besaß eine umfangreiche Bibliothek. War ein aufgeklärter und gläubiger Mensch.

 

Während der Napoleonischen Kriege war er vor die Aufgabe gestellt, seine Familie und Schutzbefohlenen durch diese herausfordernden Zeiten zu bringen, musste aufgrund seiner Stellung als Grund- und Gerichtsherr - die Franzosen nannten ihn Maire (Bürgermeister) - mit dem Feind verhandeln. Die Befehlshaber waren bei ihm im Pfarrhaus einquartiert. Er hat immer auch den Menschen gesehen. Und wollte - wie übrigens auch Wezel - nicht richten. Das hat ihm nicht nur sein Glaube verboten, sondern auch sein historisches Gewissen. Kosegarten konnte die Situation differenziert betrachten. Beide Seiten sehen. So schätzte er an Napoleon die von ihm eingeführten Reformen und die Verfassung. Er fand die Volkseigentümlichkeiten alle achtungswürdig; der Europagedanke faszinierte ihn.

Dafür wurde er schwer angegriffen. Mangelndes Nationalgefühl, Ausländerei und Hochverrat am Vaterlande wurde ihm vorgeworfen. Ernst Moritz Arndt, sein ehemaliger Hauslehrer, schreibt Kosegarten sei von liberalen Ideen befangen. Arndt unterstützte den Überlegenheitsmyhtos der Deutschen, pries Heldentum und Nationalstolz. (Ihm zu Ehren ragt ein hoher Turm auf dem Rugard bei Bergen.) Auf das Betreiben Jahns hin, der das Rassedenken forcierte, wurden Kosegartens Schriften auf dem Wartburgfest 1817 verbrannt. Darunter auch seine Biographie.

 

Und doch hat seine Geschichte, sein Glaubensbekenntnis und politisches Testament die Zeit überdauert. Mich hat auch dieser Teil seines Werkes fasziniert, getröstet und ermutigt. Und ich wünsche viel Freude bei der Lektüre.

 

Herzlichst

 

 

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Hier finden Sie einen 11seitigen Extrakt der zirka 200 Seiten umfassenden Autobiographie Kosegartens

Zitat- und Quellennachweise alle im PDF-Dokument


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